"Hallo Andreas,
ich bin mir nicht sicher, ob ich morgen an der Treibjagd Offensive des Staatsforsts auf Deiner Revierseite teilnehmen kann. Die Grippe hat mich erwischt! Ich lege mich jetzt hin und habe den Wecker gestellt. Wenn ich morgen Früh etwas fitter aufwache als heute, dann komme ich. Habe ich wieder Schwindelanfälle und gnadenlosen Husten wie heute, sorry, aber es geht nur, wenn es geht, Grüße Karl."
Diese Email schicke ich Andreas, der mich zur Sicherung seiner Wiesensteiger Reviergrenze zum Nachbarforst eingeladen hat, denn da ist morgen Treibjagd angesagt und prompt kommt wie immer die schnelle Antwort.
"OK bin in bester Hoffnung und Dir auf jeden Fall gute Besserung. Melde Dich auf jeden Fall, damit wir nicht unnötig warten und ich hoffe, es klappt!"
Ich lege mich gegen 23:00 Uhr aufs Ohr, vorher habe ich meinen Handywecker auf 6:00 Uhr gestellt, der mich wie immer mit einem irgendwo heruntergeladenen Weckton, mit „Entengeschnatter“, aufwachen lässt! Moni, meine Jagdhündin ist sofort auf den Beinen und sucht emsig und mit ihrer kupierten Rute wedelnd nach der Herkunft dieser mysteriösen Töne, denn ihrem Jagdinstinkt folgend, verbindet sie das sofort mit ihrer Lieblingsbeschäftigung, dem Aufscheuchen von Federvieh bei mir, in einem bayerischen Jagdrevier!
Ich fühle mich heute Morgen besser und schon bin ich am Beladen meines Autos, meine Ausrüstung samt Waffe habe ich vorsichtshalber am Abend gepackt und ich mache mich auf mit meinem ML ins schwäbische Jagdrevier, hinunter nach Wiesensteig, da, wo ich vor Jahren auch die Ausbildung und die Prüfung für meinen Jagdschein abgelegt habe und als Jungjäger meine ersten Erfahrungen sammeln konnte!
Vorbei an der mir bekannten Metzgerei, um noch Proviant in Form von Leberkäswecken einzukaufen und gleich erfahre ich den neuesten, auch jagdlichen „Tratsch“ hier, vom Treiben in der kleinen Stadt, denn der Metzgermeister ist auch Waldbesitzer und spitzbübisch, so wie ich ihn kenne, weiß er immer, wo was los war und los ist!
Als ich dann zum großen Jagd- oder Schulhof einbiege, steht da der mir bekannte Fuhrpark einiger meiner ehemaligen Jagdkollegen und ich freue mich sehr, sie wieder zu sehen! Schnell rufe ich noch meine Sekretärin an, um mich nach Moni, meiner Hündin, zu erkundigen, aber wie gewohnt ist alles in Ordnung und Moni wird derweil in meinem großen Büro und in der Obhut meiner Sekretärin auf mich warten müssen. Dann kommt schon Andreas heraus aus seiner Jagdschule, gibt nach einer sehr freundlichen Begrüßung kurz und knapp seine Ansitz-Einteilung bekannt. Ich muss Andreas hinterherfahren, hinauf ins Grenzgebiet zum Nachbarn, zum jagdlich geführten Forstrevier! Auch Boris, mein ehemaliger und sehr sympathischer Jagdgenosse ist mit an Bord und hat seine jagdlichen Utensilien bereits verstaut.
Der Weg ist mir wohlbekannt, hier am Aufstieg zur schwäbischen Alp. Das Städtchen Wiesensteig ist eingesäumt von tiefen und zum Teil steilen Tälern und Schluchten. So hat diese Bergwelt hier auch etwas „mystisches“, aber es braucht lange, bis die Sonne über die Bergrücken herüber scheint und die Talsohle erreicht. Das ist mir schon in Zeiten meiner Jagd-Ausbildung aufgefallen, frierend bis in die Mittagsstunden hinein saß ich noch Ende April oft draußen auf der Bank vor der Jagdschule, um sehnsüchtig einige wärmende Sonnenstrahlen einzufangen.
Heute, am Freitag den 13. Januar, fällt das Thermometer weit in die Minusgrade, es liegt wie überall kein Schnee und als ich nach dem „grauen Stein“ einbiege, hinauf, in den Grenzweg, der auch noch hinüber zum Forst gehört, steigt auch schon das, was man wohl als Jagdfieber bezeichnet in mir auf. Andreas weist mir meinen Drückjagdstand zu und ich mache mich bereit, ziehe meine warmen russischen Winterhosen und Jacken über und mit Spannung folge ich dem Pirschweg wieder hinunter durch die kleine Fichtendickung, um den etwas maroden Drückjagdsitz zu erreichen! Als ich sitze, packe ich meine Leberkäswecken aus und mit dem heißen Tee aus meiner kleinen Thermoskanne, spüle ich die Reste aus meinem Mundwinkeln hinunter, es kann losgehen!
Vor mir fällt das mit großen Fichten und Buchen bewachsene Gelände stark ab, hinter den knapp sichtdurchlässigen Jungbestand sehe ich den umstrittenen Grenzweg etwa 80-90 Meter entfernt zum Nachbarrevier vor und unter mir. Umstritten deshalb, weil der Revierförster von nebenan erst kürzlich die Freigabe zum Befahren für die hiesigen Revierjäger erteilt hat. Irgendwie war dieser Weg bis vor kurzem eine wohl weit in die Vergangenheit zurückliegende Streitsache!
Jedenfalls werde ich mit allen Mitteln versuchen, diese Grenze im Sinne meines jagdlichen Auftrags zu verteidigen und schon höre ich zum Teil hitziges Hundegebell herüberschallen, aus der staatlichen Seite. Aber das Hundegebell verliert sich wieder, als etliche Schüsse hintereinader gefallen sind. Zwischenzeitlich probiere ich Anschlagsarten und vertreibe mir die Zeit mit dem Versuch mich warm und meine frierenden Finger beweglich zu halten.
Es ist knapp 11:00 Uhr durch, als sich wieder das Kläffen eines kleinen Hundes von drüben nähernd.
Was ist das? Das hitzige Gekläffe kommt doch tatsächlich auf mich zu, wird heller und deutlicher? Spannung liegt in der Luft, überrascht schaue ich hinüber zur Grenze und darüber hinaus, um mitzukriegen was da vielleicht herüber wechselt! Gleich ist das Gebell in Nähe des Grenzwegs. Mein Adrenalinpegel schnellt augenblicklich bis in die Haarspitzen, als ich den ziehenden Rücken einer Sau zwischen den Jungholzstämmen herausblitzen sehe.
Weit unten hat sie bereits den Grenzweg passiert und quert seelenruhig den Hang in Richtung grauer Stein. Ein dreister Dackel verfolgt sie einige Meter dahinter. Keine Chance für einen sicheren Anschlag, ich springe auf und Sekunden später fange ich die Sau ein ins Absehen, den Zielstachel aufs Blatt und lasse fliegen! Die Sau überschlägt sich etliche Male in Richtung Tal und Potz Blitz, sie will wieder aufstehen.
Schon repetiert fliegen noch mal zwei Geschosse in ihre Richtung und drücken die Sau auf den Boden. Deutlich habe ich die Kugelschläge gehört und mein Adrenalinausbruch beruhigt sich zunehmend. Ich schicke dem Revierchef Andreas eine SMS "Keiler tot", denn das war nicht zu übersehen, der leicht Keilförmige Widerrist des Keilers und sein Pürzel waren unverkennbar auszumachen, auch auf diese Entfernung. Als gegen 12:00 Uhr Mittags die Zeit der nachbarlichen Drückjagd abgelaufen ist, packe ich mein Zeugs und mache mich auf den Weg, meine Beute zu begutachten. Meine Grippesymptome sind wie weggeblasen und überschwänglich laufe ich den Hang hinunter! Da liegt er nun, die Schwarte an mehreren Stellen rot gefärbt, etwa 80-90 Kilo schwer schätze ich.
Seine Waffen sind groß und die Haderer stehen weit aus seinem Wurf, stolz mache ich kehrt und gehe zurück zum Treffpunkt bei den parkenden Autos, an dem Andreas bereits auf Boris und mich wartet. Ich erkläre den beiden die Situation und wir fahren den Weg hinunter um den Keiler zu bergen. Nachdem wir ihn gefunden haben, schätzt Andreas das Gewicht auf über 100 Kilo und das Alter etwa auf 3 oder 4 Jahre.
Jetzt gibt es aber erst mal eine angemessene Fotorunde für dieses Spektakel.
Zu dritt ziehen wir dann den Keiler in Richtung Tal um ihn an einer Hütte, die mitten im Wald steht, auf den Tragekorb hinter Andreas Land Cruiser zu hieven. Es ist unsere einzige Beute an diesem kalten Januartag und als wir in den Jagdhof einfahren, kommen auch die anderen Jäger hinzu. Mit den vielen Waidmannsheil Glückwünschen, erfahre ich zum wiederholten Mal die ehrliche und neidlose Mitfreude meiner Jagdgenossen, die längst zu Freunden geworden sind. Gerne trinke ich dann im Jagdsalon der Schule noch einen Kaffee mit meinen Kollegen und wir reden über die alten Zeiten und die vielen Erlebnisse aus der gemeinsamen Zeit. Ich bin voller Freude, denn das war heute der dritte starke Keiler mit über 100 Kilo, den ich hier im Wiesensteiger Bergrevier erlegen konnte, das sind Erlebnisse, die ich nie vergessen werde und dankbar trete ich meine Heimreise an!
Vielen Dank an Andreas, Wolfgang, Martin und Boris und all die andern, gerne möchte ich mich bei Gelegenheit mal revanchieren und Euch, meine Wiesensteiger Jagdfreunde einladen in mein Revier nach Bayern, zum Beispiel dieses Jahr zum Enten- oder Gänsestrich.
Ich melde mich rechtzeitig und bis dahin verbleibe ich
mit freundlichem Waidmanns Heil, Euer Karl.
Wiesensteig im Januar, 2012.